NEWS: Der Bundesrat hat am 30. August 2023 über seinen Entscheid kommuniziert. Der erste Absatz des Artikels 16 der Freizügigkeitsverordnung wird definitiv angepasst. Ab 1. Januar 2030 ist eine Erwerbstätigkeit erforderlich, falls man das Freizügigkeitskonto später als mit dem gesetzlichen Referenzalter beziehen möchte. Bis Ende 2029 gilt eine Übergangsregelung.

Die Übergangsregelung gilt für Personen, die in den Jahren 2024 bis 2029 das Referenzalter erreichen oder bereits zuvor überschritten haben. Diese Personen können den Bezug von Freizügigkeitskonten weiterhin ohne Nachweis einer Erwerbstätigkeit aufschieben, maximal um fünf Jahre über das Referenzalter hinaus und maximal bis zum 31. Dezember 2029.

Regelung bisherRegelung neu gültig ab 1. Januar 2024
Art. 16 Abs. 1 FZVAltersleistungen von Freizügigkeitspolicen und Freizügigkeitskonten dürfen frühestens fünf Jahre vor und spätestens fünf Jahre nach Erreichen des Rentenalters nach Artikel 13 Absatz 1 BVG36 ausbezahlt werden.Altersleistungen von Freizügigkeitspolicen und Freizügigkeitskonten dürfen frühestens fünf Jahre vor Erreichen des Referenzalters ausbezahlt werden. Sie werden bei
Erreichen des Referenzalters fällig. Weist die versicherte Person nach, dass sie weiterhin erwerbstätig ist, so kann sie den Leistungsbezug höchstens fünf Jahre über das
Erreichen des Referenzalters hinaus aufschieben.
ÜbergangsbestimmungkeinePersonen, die ihre Altersleistungen nach Artikel 16 Absatz 1 in den Jahren 2024–2029
beziehen müssten, weil sie das Referenzalter erreichen oder bereits überschritten haben, und die nicht mehr erwerbstätig sind, können die Auszahlung dieser Leistungen
bis zum 31. Dezember 2029, höchstens aber fünf Jahre über das Erreichen des Referenzalters hinaus, aufschieben.

Worum geht es?

Aktuell können Freizügigkeitsgelder frühestens fünf Jahre vor und spätestens fünf Jahre nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters bezogen werden. Ein Aufschub bis 70 ist auch dann möglich, wenn man keiner Arbeit mehr nachgeht (vgl. Art. 16 Abs. 1 FZV).

Der Bundesrat will dies ändern. Er will den Bezug von Freizügigkeitskonten einschränken. Zukünftig soll es nicht mehr möglich sein, den Bezug von Freizügigkeitskonten über das ordentliche Pensionsalter von 65 aufzuschieben, wenn man nicht mehr arbeitet.

Damit will der Bundesrat die Regel beim Bezug von Freizügigkeitskonti an diejenige der 3. Säule angleichen. Dort gilt die Regel bereits, dass 3a-Konti nur dann später bezogen werden dürfen, wenn die Erwerbstätigkeit über das ordentliche Pensionsalter hinaus weitergeführt wird. Ansonsten müssen 3a-Konti spätestens mit 65 bezogen werden.

Was ist die Begründung des Bundesrates?

Der Bundesrat kommuniziert im erläuternden Bericht zur Verordnungsänderung zwei Gründe, warum er die bestehende Regel, die in Art. 16 Abs. 1 der Freizügigkeitsverordnung verankert ist, anpassen und an diejenige der 3. Säule angleichen möchte:

  1. Mit der Änderung will der Bundesrat einen Anreiz zum Weiterarbeiten über das Referenzalter hinaus setzen.
  2. Nur Personen, die tatsächlich weiterarbeiten, sollen von der steuerprivilegierten beruflichen Vorsorge profitieren können.

Was meint der Bundesrat damit? Die erste Aussage ist ziemlich klar: Alle, die ein Freizügigkeitskonto später als mit 65 beziehen möchten, müssen weiterarbeiten, wobei das Gesetz kein minimales Pensum vorsieht. Der Bundesrat sieht darin einen Anreiz zum längeren Arbeiten, was aus Sicht der öffentlichen Hand natürlich interessant ist (mehr Steuereinnahmen, mehr AHV-Einnahmen usw.).

Mit der zweiten Begründung kommt der Bundesrat auf die steuerliche Privilegierung von Vorsorgevermögen zu sprechen. Diese Privilegierung umfasst die Tatsache, dass Vorsorgegelder in der Steuererklärung nicht deklariert werden müssen. Demnach sind Vorsorgegelder nicht als Vermögen zu versteuern. Allfällige Erträge werden nicht zum steuerbaren Einkommen gezählt.

Es erstaunt, dass der Bundesrat die Anpassung nicht damit begründet, dass der gestaffelte Bezug, welcher eine gewisse Möglichkeit zur Steueroptimierung bietet, eingeschränkt werden soll. Möglicherweise wollte er das nicht so explizit sagen …

Sei’s drum. Der Bundesrat hat die Verordnungsänderung am 9. Dezember 2022 in die Vernehmlassung gegeben. Die Frist zur Einreichung von Stellungnahmen ist am 24. März 2023 abgelaufen. Zeit zu schauen, was die Parteien dazu meinen.

Was sagen die Parteien?

Wir konzentrieren uns dabei auf die Parteien mit einem Wähleranteil von mehr als 5 % (aufgelistet nach der Wählerstärke):

Ist damit zu rechnen, dass die Änderung im Bundesrat durchkommt?

Der Bundesrat setzt sich aus Mitgliedern folgender Parteien zusammen (aufgelistet «von rechts nach links»):

  • 2 x SVP <- ist dagegen
  • 2 x FDP <- ist dagegen
  • 1 x Mitte <- ist dagegen
  • 2 x SP <- ist dafür

Somit dürfte die Änderung eigentlich nicht durchkommen. Denn sofern sich alle Bundesräte an die Meinungen ihrer Parteien halten, würde der Bundesrat die Änderung mit 5 zu 2 Stimmen ablehnen.

Das will nicht heissen, dass eine Änderung deshalb nicht möglich ist. Seit der Lancierung der Vernehmlassung hat sich ja die parteiliche Zusammensetzung im Bundesrat nicht verändert. Wenn man es also so betrachtet, hätte es der Änderungsvorschlag gar nicht erst in die Vernehmlassung schaffen dürfen. Und trotzdem hat er es.

Damit die Änderung durchkommt, müssten sich in der finalen Abstimmung mindestens zwei Bundesräte der SVP, der FDP oder der Mitte gegen ihre Partei stellen.

Wie könnten sich Abweichler im Bundesrat begründen?

Diesbezüglich stellt sich insbesondere die Frage, ob die Anpassung von Artikel 16 Absatz 1 der Freizügigkeitsverordnung in der vom Volk angenommenen Reform AHV 21 bereits enthalten und angekündigt wurde. Wenn dem so wäre und es ein «Päckchen» gegeben haben sollte, hätte man natürlich als Bundesrat die moralische Pflicht, dem Wählerwillen zu entsprechend und die Verordnungsänderungen auch dann vorzunehmen, wenn die Parteimeinungen anders sind.

Also schauen wir uns die Vorlage etwas genauer an:

  • Da gibt es zum Beispiel ein Hintergrunddokument zur Reform AHV 21, das heisst “Mehr Flexibilität beim Altersrücktritt”. Darin könnte sich ja möglicherweise was finden lassen? Aber, nein. Darin ist nichts zu lesen, dass die Freizügigkeitsverordnung im Anschluss an die Abstimmung angepasst werden soll.
  • Auch in der allgemeinen Abstimmungsvorlage zur Reform AHV 21 ist nichts über die geplante Änderung der Freizügigkeitsverordnung zu finden.
  • Ebenso nicht im Abstimmungsbüchlein, das an alle Schweizer Wahlberechtigten ging.

Es bleibt also dabei. Es ist äusserst merkwürdig, dass die Änderung Eingang in die Umsetzung der Reform AHV 21 gefunden hat.

Wann wäre mit einem Inkrafttreten der neuen Regelung zu rechnen?

Falls die Änderung kommt, ist mit einem Inkrafttreten ab 1.1.2024 zu rechnen.

Die FDP fordert in ihrer Vernehmlassungsantwort, dass die neue Regel nur für neue Freizügigkeitspolicen und -konti gelten dürfen, falls der Bundesrat die Änderung vornimmt. Diesen Vorschlag finden wir nicht sehr toll, weil eine solche Regel mehr Bürokratie bedeutet.

Besser als der Vorschlag der FDP wäre wohl eine Übergangsfrist von zehn Jahren (vgl. dazu den Beitrag zum gestaffelten Bezug), damit die Änderung keine Personen betrifft, die sich mitten in der Umsetzung einer fixen Bezugsplanung befinden.

Wir halten Sie auf dem Laufenden und werden den Beitrag über den gestaffelten Bezug anpassen, sofern die Anpassung kommt.

Hintergrundinformation

Am 25. September 2022 hat das Stimmvolk die Reform AHV 21 angenommen. Die Umsetzung der Reform AHV 21 erfordert Anpassungen an verschiedenen Verordnungen. Die Änderung der Verordnung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung umfasst also auch andere Erlasse, wie zum Beispiel die Freizügigkeitsverordnung. Der Bundesrat will die Gelegenheit nutzen, um gleich auch die Regelung zum Bezug von Freizügigkeitsgeldern anzupassen.

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