Update: Am Sonntag, 20. März 2023, hat der Bundesrat unter Zuhilfenahme von Notrecht entschieden, die Credit Suisse der UBS anzudienen. Die in diesem Beitrag beschriebenen To-big-to-fail-Bestimmungen sind vor diesem Hintergrund als überholt anzuschauen, obwohl sie rechtlich nach wie vor gültig sind.
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In der Finanzkrise von 2007/2008 drohte die UBS unterzugehen. Am 16. Oktober 2008 informierte der damalige Bundespräsident Pascal Couchepin über Rettungsmassnahmen des Bundes und der Schweizerischen Nationalbank (SNB), um einen Flächenbrand auf die gesamte Schweizer Wirtschaft zu verhindern.
Heute ist ein ähnliches Szenario kaum mehr denkbar, nachdem eine Vielzahl von Massnahmen ergriffen wurden, um den Finanzplatz Schweiz zu stabilisieren. In diesem Beitrag gehen wir auf die getroffenen Massnahmen ein und erläutern, ab wann es zu Verlusten für die einzelnen Anspruchsgruppen kommen würde und wie diese in einem Konkursfall betroffen wären.
Too-big-to-fail Bestimmungen
Die UBS wurde gerettet, währenddem im Ausland einige Finanzinstitute in der Finanzkrise untergingen. Die Finanzkrise hatte aufgrund der Ansteckungseffekte ein globales Ausmass. Die Antwort auf die Krise waren neue Vorschriften, welche in vielen Länder eingeführt wurden, um die Sicherheit und Stabilität im Finanzsektor zu stärken. In der Schweiz wurden sogenannte «Too-big-to-fail» Bestimmungen eingeführt. Die konkreten Vorschriften sind zu einem grossen Teil in der Eigenmittelverordnung (ERV), Liquiditätsverordnung (LiqV), Bankeninsolvenzverordnung-FINMA (BIV-FINMA) sowie in weiteren FINMA Rundschreiben abgebildet.
Die Schweizer Finanzmarktaufsicht (FINMA) teilt Banken in fünf verschiedene Kategorien ein, welche unterschiedlich intensiv beaufsichtigt werden. Die Kategorisierung erfolgt über die messbaren Kriterien Bilanzsumme, verwaltete Vermögen, privilegierte Einlagen und erforderliche Eigenmittel.
- Kategorie 1: Sehr grosse, bedeutende und komplexe Marktteilnehmer. Sehr hohes Risiko.
- Kategorie 2: Sehr bedeutende, komplexe Marktteilnehmer. Hohes Risiko.
- Kategorie 3: Grosse und komplexe Marktteilnehmer. Bedeutendes Risiko.
- Kategorie 4: Marktteilnehmer mittlerer Grösse. Durchschnittliches Risiko.
- Kategorie 5: Kleine Marktteilnehmer. Tiefes Risiko.
Finanzinstitute sind systemrelevant, wenn ihr Ausfall die Schweizer Volkswirtschaft und das Finanzsystem erheblich schädigen würde. Als international tätige systemrelevante Banken gelten die UBS und Credit Suisse, welche den strengsten Anforderungen und der höchsten Überwachungsintensität unterliegen (enge und laufende Überwachung). Als Inland-orientierte systemrelevante Banken gelten PostFinance, Raiffeisen und die Zürcher Kantonalbank.
Recovery- und Resolution-Planung
Die Grossbanken sind verpflichtet, Notfallpläne zu entwickeln, damit in einer Krise die systemrelevanten Funktionen unterbruchsfrei fortgeführt werden können. In Zusammenhang mit der Stabilisierung in einem Krisenfall wird von Recovery gesprochen. Massnahmen wie Verzicht auf Ausschüttungen an Investoren und Reduktion der Boni werden in Betracht gezogen, wenn die Geschäfte nicht in eine gute Richtung laufen. Als Stabilisierungsmassnahmen kommen danach Teilverkäufe von Geschäftsbereichen, Wandlungen von Obligationen bei Unterschreitung definierter Kapitalanforderungen und weitere Massnahmen in Frage. Sollte alle diese Massnahmen nicht ausreichen, erfolgt der Eingriff durch die FINMA oder konkret eine Stabilisierung und Restrukturierung und/oder geordnete Abwicklung einer Bank, welche Resolution genannt wird.
Als systemrelevante Banken haben die Grossbanken umfassende Pläne für Recovery und Resolution der FINMA einzureichen, welche diese Notfallpläne genehmigt.
Was passiert im Krisenfall bei einer Überschuldung?
Aus Art. 725 des Obligationenrechts (OR) sind die Begriffe Unterbilanz und Überschuldung geläufig. Hat eine Firma mehr als die Hälfte des Eigenkapitals aufgebraucht, so sind Sanierungsmassnahmen einzuleiten. Ist das ganze Eigenkapital aufgebraucht, so spricht man von einer Überschuldung und ein Konkurs ist kaum mehr vermeidbar.
Banken haben ein Instrument geschaffen, welches ein schlitterndes Finanzinstitut in einem Krisenfall retten kann. In einem Krisenfall ist kaum jemand bereit, weiter Geld in Form von Eigenkapital zur Verfügung zu stellen. So genanntes Wandlungskapital und Bail-in-Bonds sind die Lösung. Das bedeutet, dass laufende Obligationen in einem Krisenfall in Eigenkapital umgewandelt werden können. Es gibt verschiedene Kategorien dieser Obligationen, welche je nach unterschreiten von definierten Kennzahlen in Aktienkapital gewandelt werden können. Reichen Sanierungsmassnahmen und das Wandlungskapital, welches bei Unterschreiten von Kapitalanforderungen automatisch gewandelt wird, nicht aus, um die regulatorischen Vorgaben zu erfüllen (Kernkapitalquote CET 1), dann erfolgt ein Eingriff durch die FINMA. Man spricht von «Point of non-viability», auf welchen eine Restrukturierung und/oder geordnete Abwicklung durch die FINMA erfolgen soll.
In der Praxis würde in einem solchen Fall zuerst das Eigenkapital auf Null abgeschrieben. Dies käme einem Totalverlust für die Aktionäre gleich. Gleichzeitig erfolgt dann die Umwandlung von Bail-in-Bonds in Eigenkapital. Für die Bail-in-Bonds mit höheren Risiken einer Umwandlung in Eigenkapital muss ein höherer Zins gezahlt werden. Die Investoren von solchen Obligationen wollen eine höhere Entschädigung dafür, ein höheres Risiko tragen zu müssen.
Mit Bail-in-Bonds wurde ein effektives Instrument geschaffen, über welches signifikante Verluste absorbiert werden könnten und systemrelevanten Banken handlungsfähig bleiben. Firmen ohne Bail-in-Bonds wären im Falle einer Überschuldung gezwungen, eine Restrukturierung mit den Fremdkapitalgeber zu verhandeln. Dies ist in der Regel anspruchsvoll und mit einem ungewissen Ausgang verbunden.
Welche Verluste kann eine Bank maximal tragen?
In der Fachsprache wird ein Unterschied zwischen «Going concern capital» und «Gone concern capital» gemacht. Going concern bezieht sich auf die Sicht, dass eine Bank weitergeführt wird. Von der Gone concern Betrachtung spricht man, wenn man von einem Liquidationsszenario ausgeht und dabei das gesamte Kapital betrachtet, welches einen Verlust tragen könnte (auch beispielsweise Erlöse aus Verkäufen von veräusserbaren Geschäftsbereichen oder liquiden Vermögen).
Die Berechnung der konkreten Kapitalanforderungen ist komplex und hängt unter anderem von der ausgeübten Geschäftstätigkeit ab. Im Herbst 2022 ist die Credit Suisse aufgrund wiederholter massiver Abschreibungen tief in die Verlustzone geraten. So wurde publiziert, dass für das Jahr 2022 ein Verlust von rund 3.5 Milliarden Schweizer Franken resultieren dürfte. Dies nachdem im 2021 bereits ein Verlust von rund 500 Millionen Schweizer Franken rapportiert wurde. Die Zahlen sind schwierig einzuordnen. Und – ob es der Credit Suisse gelingt, in Zukunft weitere grössere Abschreiber zu vermeiden, bleibt ungewiss.
Um zu beurteilen, wie sicher die Credit Suisse ist, sollte man die Zahlen dem Kapital gegenüberstellen, welches einen Verlust absorbieren könnte. Die Zahlen aus einer Präsentation der Credit Suisse für Fremdkapitalinvestoren vom 7. Dezember 2022 zeigten folgendes Bild:
Verlustabsorbierendes Kapital Going concern: CHF 50.1 Milliarden
Gesamtes verlustabsorbierendes Kapital (inkl. Gone concern): CHF 97.4 Milliarden
An der Grössenordnung dieser Zahlen zeigt sich, dass mit den nach der Finanzkrise 2007/2008 geschaffenen Instrumente, auch sehr grosse Verluste verkraftet werden können, ohne dass die Sicherheit von Bankguthaben gefährdet ist.
Der hohe Verlust der Credit Suisse im Jahr 2022 dürfte vor allem den Aktionären schmerzen, was sich im Aktienkurs widerspiegelt. Es bleibt zu hoffen, dass der Reputationsschaden aufgrund der hohen Verluste und negativen Presse keine langfristigen Folgen hat.
Schweizer Kunden sind noch besser geschützt
Systemrelevante Funktionen in der Schweiz sind das Einlagengeschäft, das Kreditgeschäft in der Schweiz (auch unterjährige Kredite) und der Zahlungsverkehr. Diese Geschäfte sind bei der Credit Suisse Schweiz AG angegliedert und nicht auf Gruppenstufe.
Würde die Credit Suisse Gruppe in Schieflage geraten, so würde die FINMA mit Zwangsmassnahmen einschreiten mit den Ziel, die Bank zu sanieren. Bei einer Sanierung könnte die Gruppe umgebaut und in ein neues Geschäftsmodell überführt werden. Die FINMA könnte dabei eine Abschreibung der Bail-in-Bonds erzwingen, um die Gruppe zu sanieren. Bei einer Sanierung ist vorgesehen, dass alle Gesellschaften der Gruppe offen bleiben.
Scheint eine Sanierung auf Gruppenstufe nicht möglich oder ist diese nicht erfolgreich, so greift eine zweite Stufe – der Schweizer Notfallplan. Die Credit Schweiz AG würde aus der Gruppe herausgelöst werden. Da die systemrelevanten Funktionen bereits über die Credit Suisse Schweiz AG laufen, ist die Kontinuität und unterbruchsfreie Weiterführung garantiert.
Welche Verluste trägt wer im Sanierungsfall?
Im Falle einer Bankensanierung ist klar vorgegeben, wer in welcher Reihenfolge Verluste tragen müsste. In einem Verlustszenario würden die Anspruchsgruppen in folgender Reihenfolge für einen Verlust aufkommen müssen:
- Aktionäre der Bank:
Das Aktienkapital würde als erstes für Verluste aufkommen. Im Konkursfall bedeutet dies einen Totalverlust für die Aktionäre. - Fremdkapitalinvestoren:
Ausstehende Obligationen könnten in einer Krise nach einer festgelegten Hierarchie in Aktienkapital gewandelt (Bail-in-Bonds) werden oder würden bei sehr hohen Verlusten nur noch teilweise oder gar nicht mehr zurückbezahlt. - Übrige Forderungen:
Andere Banken und sonstige Gegenparteien, welche mit der Bank Geschäfte tätigen und gegenüber der Bank Forderungen offen haben, müssten auf Forderungen verzichten, falls der Verlust auch durch die Fremdkapitalinvestoren nicht mehr gedeckt werden könnte. - Bankguthaben (Konto):
Erst dann könnte es dazu kommen, dass Sparer zur Kasse gebeten würden bzw. Bankguthaben nicht mehr vollständig zurückbezahlt werden.
Einlagesicherung: Ein zusätzlicher Schutz für die Einlagen auf den Bankkonten bietet die Einlagesicherung. Einlagen pro Kundin oder Kunde bis 100’000 Franken werden sofort und ausserhalb des Konkursverfahrens ausbezahlt.
Der für die Einlagesicherung in der Schweiz verfügbare Betrag umfasst 8 Milliarden Schweizer Franken (Stand 2023). Die entspricht dem gesetzlich festgelegten Wert von 1.6 % aller gesicherten Guthaben in der Schweiz.
Konkursprivileg: Zusätzlich zur Einlagesicherung von 100’000 Franken profitieren Bankkunden von einem Konkursprivileg auf dieselbe Summe. Forderungen bis 100’000, die nicht mit der Einlagesicherungen beglichen werden können, fallen in die zweite statt in die dritte Konkursklasse.
Bei einer Vorsorgestiftung gilt die Privilegierung pro Kunde der Vorsorgestiftung. Die Vorsorgestiftung gilt daher nicht nur als ein Kunde für die Bank, sondern dahinter können Tausende Kunden sein, welche einzeln von der Privilegierung profieren.
Würden Wertschriftenanleger mit Depotbeständen ebenfalls zur Kasse gebeten?
Anlagen in Wertschriften gelten als Sondervermögen und sind nicht Teil der Bankbilanz. In einem Konkursfall sind die Wertschriften geschützt. Bei Fonds gilt es Punkte zu beachten, welche zu einem gewissen Verlust innerhalb eines Fonds führen könnten:
- Der Cashbestand des Fonds: Bei passiv verwalteten Fonds ist dieser Betrag in der Regel sehr tief und vernachlässigbar, da sämtliche Eingänge umgehen investiert werden. Bei aktiv verwalteten Fonds ist das Risiko grösser und muss durch den Fondsmanager kontrolliert werden.
- Währungssicherung oder andere Derivatgeschäfte: Werden Fremdwährungen abgesichert, so ergeben sich aus diesen Geschäften während der Laufzeit der Absicherung Gewinne oder Verluste. Falls ein Gewinn daraus nicht eingefordert werden könnte, würde daraus ein Verlust resultieren. Durch Festlegen von Gewinn- und Verlustschwellen bei welchen Ausgleichszahlungen zwischen den Gegenparteien erfolgen, werden die Risiken minimiert. Bei synthetisch umgesetzten Fonds sind die Risiken von Verlusten entsprechend höher.
- Securities Lending (Wertschriftenleihe): An eine Bank geliehene Wertschriften könnten im Konkursfall nicht zurückgefordert werden. In der Praxis sind wesentliche Sicherheiten notwendig, um eine Wertschriftenleihe tätigen und die Risiken kontrollieren zu können (Collateral).
- Anlagerisiko: Investiert der Fonds selbst in Wertschriften einer von einem Konkurs betroffenen Bank, so kann auf diesen Anlagen ein Verlust resultieren.
Das Verlustrisiko aufgrund eines Bankenkonkurses ist in physisch umgesetzten passiven Anlagen sehr gering. Genauer hinzuschauen gilt es bei aktiv verwalteten Anlagefonds.
Ein Konkurs einer eng überwachten Grossbank ist heute kaum mehr realistisch. Wertschriftensparer mit passiven Anlagen (physisch repliziert) wären zudem sogar bei einem isolierten und theoretischen Konkursszenario praktisch vollständig geschützt und kaum betroffen.