Ein Kommentar von Beat Bühlmann, Geschäftsführer finpension AG, zum Reformvorschlag der Sozialpartner.

Zwischen Weihnachten und Neujahr habe ich den Vorentwurf und erläuternden Bericht zur Reform der beruflichen Vorsorge (BVG-Reform) eingehend studiert. Die Vorlage übernimmt einen Kompromissvorschlag der Sozialpartner (Travail.Suisse, Schweizerischer Gewerkschaftsbund und Schweizer Arbeitgeberverband). Mein Fazit: Die BVG-Reform braucht eine Reform.

Erhalt des Leistungsniveaus bezahlt durch die jüngeren Generationen

Die systemfremde Umverteilung von aktiven Versicherten zu Rentnern beträgt über 6 Milliarden Franken[1]. Dies triff jüngere Versicherte aufgrund einer Minderverzinsung besonders hart. Mit der Reform gilt es solche unerwünschten Effekte zu reduzieren. Eine Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6.8% auf 6.0% ist eine vorgeschlagene Massnahme dazu. Gleichzeitig wird als ein Hauptziel der Reform der Erhalt des Rentenniveaus genannt. Das klingt nachvollziehbar und wünschenswert. Es stellt sich aber unmittelbar die Frage, wer die Last dafür trägt.

Es ist wenig nachvollziehbar, weshalb zusätzliche 0.5% Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge auf dem AHV-pflichtigen Lohn erhoben werden sollen, solange auch der Umwandlungssatz von 6.0% nach wie vor als zu hoch eingestuft wird. Ein Umwandlungssatz von 6.0% geht von der Annahme aus, dass langfristig eine Anlagerendite von 3.5% – 4.0% erwirtschaftet werden kann. Dies dürfte im Negativzinsumfeld über die nächsten 5 bis 10 Jahre kaum realistisch sein. Weshalb soll ein zusätzlicher Rentenzuschlag ausgerichtet werden, wenn angehende Pensionäre bereits von einem zu hohen Umwandlungssatz profitieren? Leidtragende sind einmal mehr jüngere Versicherte. Der Vorschlag trägt damit leider eine politische Handschrift: Insgesamt fällt der dafür typische Ausdruck «Erhalt» rund um das Leistungsniveau der Renten ganze 38 Mal im Reformvorschlag! Ein Umdenken ist gefragt.

Vorwärts handeln, statt rückwärts denken

Der Erhalt des Rentenniveaus nicht nur zu Lasten, sondern auch mit zusätzlichen Kosten für die jüngeren Generationen ist bedenklich und nicht im Sinne einer weitsichtigen Sozialpolitik. Der Vorschlag ist ein mutloser und nicht nachhaltiger politischer Kompromiss mit viel Verbesserungspotenzial. Nachfolgend gehe ich auf die wichtigsten Neuerungen des Reformvorschlags ein und zeige zukunftsgerichtete Lösungsansätze auf.

Der zur Berechnung der Rente verwendete Mindestumwandlungssatz wird im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Revision in einem Schritt von 6,8 auf 6,0 Prozent gesenkt

Eine Reduktion des Mindestumwandlungssatzes ist unumgänglich. Im heutigen Umfeld wäre allerdings eine Senkung auf 5.0% angezeigt. Im Vorschlag ist vorgesehen, den Mindestumwandlungssatz alle fünf, statt alle zehn Jahre durch den Bundesrat überprüfen zu lassen. Dieser Schritt ist besser als der Status quo, jedoch sollte der Mindestumwandlungssatz entpolitisiert werden. Liechtenstein hat das Gesetz über die berufliche Vorsorge der Schweiz weitgehend übernommen mit einem kleinen, aber entscheidenden Unterschied: Es gibt kein Mindestumwandlungssatz. Dadurch soll die Berechnung der Altersrente nicht politisch motiviert sein. Was spricht in der Schweiz dagegen, ebenfalls eine für alle Generationen faire Lösung zu wählen? Leistungen müssen an die aktuellen wirtschaftlichen und biometrischen Verhältnisse angepasst werden können.

Künftigen Bezügern von Alters- und Invalidenrenten der beruflichen Vorsorge wird ein solidarisch finanzierter Rentenzuschlag pro Kopf ausbezahlt. Finanziert wird der Rentenzuschlag durch einen Beitrag von 0,5 Prozent auf dem AHV-pflichtigen Jahreseinkommen bis 853‘200 Franken (Stand 2019).

Das aktuelle Leistungsniveau nicht zu halten, wäre gemäss dem Reformvorschlag nicht vertretbar. An diesem Beispiel zeigt sich die Divergenz von politischem «ich hätte gerne» und der wirtschaftlichen Realität. Es ist inzwischen offensichtlich, dass die Leistungsversprechen der Vergangenheit und damit das aktuelle Niveau zu hoch sind. Nun stellt sich die Frage, wer dafür aufkommen soll, dass es einen politisch motivierten Umwandlungssatz und damit zu hohe Leistungsversprechen gibt. Die Arbeitnehmer mit einer zusätzlichen Lohnabgabe zu belasten ist unfair und entspricht in keiner Weise dem Verursacherprinzip.

Soll das Leistungsniveau gehalten werden, ist eine andere Finanzierungsquelle zu evaluieren. Eine zusätzliche Finanzierungsquelle darf nicht zu Lasten der bereits überproportional belasteten jüngeren Generationen gehen.

Zudem gilt es zu beachten, dass einige Vorsorgeeinrichtungen über die letzten Jahre signifikante Reserven für die Pensionierungsverluste aufgebaut haben und allfällige Ausgleichsmassnahmen zumindest teilweise selbst tragen könnten.

Der Koordinationsabzug, der den versicherten Lohn bestimmt, wird halbiert. Die Senkung führt unmittelbar zu einem höheren versicherten Verdienst. Dadurch werden namentlich Teilzeitbeschäftigte im BVG besser abgesichert.

Der Koordinationsabzug soll von 24’885 Franken auf 12’443 Franken halbiert werden. Grundsätzlich ist dieser Schritt begrüssenswert. Allerdings stellt sich die Frage, ob der Koordinationsabzug nicht gleich komplett abgeschafft werden sollte. Die Arbeitsmodelle entwickeln sich in rasantem Tempo in eine Richtung, welche höhere Flexibilität erfordert (Teilzeitarbeit, Freelance-Modelle, mehrere Arbeitgeber). Mit einer in der Reform gleichbleibenden BVG-Eintrittsschwelle von 21’330 Franken, ist das BVG-Modell nicht zukunftsfähig.

Die BVG-Eintrittsschwelle soll verhindern, dass Personen, die schon in der 1. Säule ausreichend versichert sind, in die obligatorische 2. Säule aufgenommen werden. Kann man ausschliesslich mit einer 1. Säule überhaupt bereits ausreichend versichert sein?

Die Altersgutschriften (Lohnbeiträge) für die zweite Säule werden angepasst. Neu gilt im Alter von 25 bis 44 Jahren eine Altersgutschrift von 9 Prozent auf dem BVG-pflichtigen Lohn; ab Alter 45 beträgt die Altersgutschrift 14 Prozent. Damit werden die Altersgutschriftensätze gerade der älteren Arbeitskräfte spürbar gesenkt, während sie für die jüngste Altersgruppe erhöht werden.

Im Vorschlag wird eine Vereinfachung der Gutschriftssätze auf 9% ab Alter 25 bis alter 44 und 14% ab Alter 45 bis zum ordentlichen Rücktrittsalter empfohlen. In den Erläuterungen ist eine Vergleichstabelle abgebildet, welche die jährlichen Altersgutschriften addiert. Die Einzahlungszeitpunkte werden dabei nicht differenziert betrachtet. Diese sind höchst relevant für einen Leistungsvergleich. Eine Vereinfachung und zukunftsgerichtete Reform für die jüngeren Generationen wäre, eine konstante Altersgutschrift von beispielsweise 11% einzuführen.

Alteraktuelle Altersgutschrift
in % des koordinierten Lohns
Reformvorschlag Altersgutschrift
in % des koordinierten Lohns
Alternative Altersgutschrift
in % des koordinierten Lohns
25-347.09.011.0
35-4410.09.011.0
45-5415.014.011.0
ab 5518.014.011.0
Total500.0460.0440.0

Der vorgeschlagene Mindestumwandlungssatz von 6.0% basiert auf einer langfristen Renditeannahme von 3.5% – 4.0%, welche im aktuellen Umfeld kaum mehr erreicht werden kann. Für einen konsistenten Vergleich haben wir uns im nachfolgenden Berechnungsbeispiel trotzdem auf eine Anlagerendite von 4% gestützt. Bei einer konstanten Altersgutschrift von 11% resultiert eine deutlich höhere Altersleistung.

Alteraktuelle Altersgutschrift
in % des koordinierten Lohns
Reformvorschlag Altersgutschrift
in % des koordinierten Lohns
Alternative Altersgutschrift
in % des koordinierten Lohns
25-347.09.011.0
35-4410.09.011.0
45-5415.014.011.0
ab 5518.014.011.0
Total1018.31004.11045.3

Es gilt zu beachten, dass einfachheitshalber in der Berechnung davon ausgegangen wird, dass über den gesamten Zeitraum das volle BVG-Obligatorium versichert wäre. Der alternative Vorschlag führt zudem zu geringeren Gesamtkosten für die Arbeitnehmer- und Arbeitgeber und entgegnet der Diskriminierung älterer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt aufgrund höherer Sozialleistungskosten. Der Bundesrat hat frühere parlamentarische Vorstösse in diese Richtung abgelehnt (Motion 19.3883 von Jean-Pierre Grin oder Motion 17.3325 der Fraktion BD). Die Ablehnung erfolgt aufgrund zu hoher Kosten. Ausgleichsmassnahmen müssen kritisch hinterfragt und diskutiert werden. Für allfällige Zusatzkosten gilt es Lösungen zu suchen.

Würde gänzlich auf einen Koordinationsabzug verzichtet, so würde eine Altersgutschrift von 10% auf dem versicherten Lohn zu einem noch leicht höheren Ergebnis führen (die 10% würden eine Altersgutschrift von 11.71% basierend auf dem vorgeschlagenen reduzierten Koordinationsabzug entsprechen). Kein Koordinationsabzug und eine gleichbleibende Altersgutschrift von 10% auf allen Lohnbestandteilen bis zum maximalen anrechenbaren Lohn im BVG würden vieles vereinfachen. Ganz im Sinne von “weniger Bürokratie, dafür mehr Leistungen”.

Wie gross wäre die maximale Renteneinbusse durch die alternative Altersgutschrift von konstant 10% und ohne Koordinationsabzug? Am stärksten betroffen wäre ein Versicherter im Alter von 45 Jahren. Seine Rente würde zur Pensionierung gegenüber dem aktuell geltenden Modell um rund CHF 290 (ohne Verzinsung der Einzahlungen) bzw. CHF 405 (bei einer Verzinsung der Einzahlungen von 4%) tiefer ausfallen. Dies klingt auf den ersten Blick nach viel. Es gilt allerdings zu bedenken, dass während der Sparphase deutlich geringere Lohnabzüge fällig würden und somit in der Gesamtbetrachtung keine Leistungskürzung erfolgt. Auf Ausgleichsmassnahmen ist zu verzichten. Keinesfalls dürfen die aufgrund der systemfremden Umverteilung bereits stark belasteten aktiven Versicherten mit zusätzlichen Lohnabzügen belastet werden.

Die Zuschüsse für Vorsorgeeinrichtungen mit ungünstigen Altersstrukturen werden aufgehoben. Sie sind aufgrund der deutlichen Korrektur der Altersgutschriften für Versicherte ab 45 Jahren nicht mehr nötig.

Der Vorschlag ist sinnvoll und sollte bei einer Reform umgesetzt werden.

Eine zukunftsgerichtete Reform zur Stärkung des Arbeitsplatzes Schweiz

Die Sozialpartner haben es verpasst, einen weitsichtigen und nachhaltigen Vorschlag vorzulegen. Die Senkung des Mindestumwandlungssatzes ist ein wichtiger Schritt, obwohl dem System der 2. Säule langfristig nur eine Entpolitisierung des Mindestumwandlungssatzes Stabilität und Nachhaltigkeit verleihen kann. Neuen Arbeitsformen und -modellen wird zu wenig Rechnung getragen. Hier wäre ein mutiger Schritt der Schweiz gefragt, um die 2. Säule langfristig zu stärken und Bürokratie abzubauen. Die 2. Säule ist ein zentrales Element des Schweizer Arbeitsmarktes. Eine zukunftsgerichtete Reform ist notwendig, um den Arbeitsplatz Schweiz langfristig zu stärken.

Die Risikofähigkeit einer Pensionskasse hat einen wesentlichen Einfluss auf die Anlageallokation. Ein nach ökonomischen Parametern funktionierendes System führt zu höheren Anlagerenditen und ist damit langfristig im Sinne aller Versicherten. Entscheide müssten im Sinne einer «sunk-cost-Betrachtung» gefällt werden. Wie kann die 2. Säule für alle langfristig eine sichere und hohe Altersleistung ausrichten? Die mit dem Reformvorschlag eingeschlagene «Pflästerlipolitik» am maroden BVG-Haus wird noch einige Wunden an den Tag bringen.

[1] OAK-BV, Bericht «Finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen», 2017.