Das Jahr 2020 war in vielerlei Hinsichten aussergewöhnlich. Die Coronakrise forderte auch die Legislative. Neue Prioritäten mussten gesetzt werden, wichtige Debatten mussten ins nächste Jahr verschoben werden. Mit der BVG-Reform 21 wird ein wichtiges Dossier behandelt. Inzwischen ist die provisorische Fassung der Botschaft zur BVG-Reform 21 publiziert und wiederum haben sich die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr angeboten, die nun seit längerer Zeit debattierte Vorlage mit etwas mehr Distanz kritisch zu beleuchten.

Für ein gutes Ergebnis muss an den richtigen Stellschrauben gedreht werden. Es gilt dabei «Hebeleffekte» zu identifizieren und zu nutzen. Diese Denkweise und das Suchen nach den richtigen Stellschrauben ist eine wichtige Zutat für den Erfolg. Sei es in der Wirtschaft, in der Forschung oder auch in der Freizeit beim Sport. In der Politik scheint dies allzu oft nur bei der Optimierung von Wählerstimmen zu passieren. Bei Vorlagen orientiert man sich an Bestehendem, hält an alten Zöpfen fest. Änderungen werden mit Unsicherheit verbunden, Verlustängste kommen auf.

Dieser Beitrag startet mit einem Überblick zur geplanten Reform, gefolgt von den geplanten Massnahmen und Ideen für eine zukunftsgerichtete 2. Säule mit mehr Flexibilität und einem signifikant höheren Leistungsniveau. Ideen dürfen und sollen dabei zu Gedanken anregen. In einem Folgebeitrag möchte ich mit einem progressiven Vorschlag aufzeigen, wo der grosse Hebeleffekt in der 2. Säule ist und wie dieser zu einem signifikant höheren Leistungsniveau führen könnte.

Nach gescheiterten Reformvorlagen braucht es eine mehrheitsfähige Lösung

«Um die berufliche Vorsorge steht es gut», diese Einschätzung könnte man aus der Betrachtung des durchschnittlichen Deckungsgrades der Schweizer Pensionskassen ableiten. Der Deckungsgrad einer Pensionskasse ist ein viel verwendeter Indikator, um das Vermögen einer Pensionskasse mit den erwarteten Verpflichtungen in ein Verhältnis zu setzen. Gemäss dem Pensionskassen-Monitor von Swisscanto beträgt der durchschnittliche Deckungsgrad privatrechtlicher Pensionskassen per Ende September 2020 über 111 %. Das sieht doch gut aus, oder?

Experten kommen zu einem anderen Schluss. Das in der 2. Säule vorgesehene eigene Sparen fürs Alter (Kapitaldeckungsverfahren), ist zu einem komplexen Umverteilungskonstrukt mutiert. Die Vergleichbarkeit der ausgewiesenen Kennzahlen ist schwierig und die Annahmen über die Zukunft basieren auf äusserst optimistischen Annahmen.

Gemäss OAK wurden in Pensionskassen im Jahr 2019 über CHF 7 Milliarden umverteilt. Die Umverteilung erfolgt aus einer zu tiefen Zinsgutschrift für die aktiven Versicherten. Die Rentner dagegen profitieren von höheren Zinsgutschriften und damit von höheren Renten. Die Minderverzinsung führt zu einschneidenden Folgen für die jüngeren Generationen: Bei der Pensionierung wird die Altersleistung deutlich tiefer ausfallen.

Gescheiterte Reformversuche zeigen die Herausforderungen einer politischen Lösung. Für die BVG-Reform 21 sind Vorschläge der nationalen Dachverbände der Sozialpartner (Travail.Suisse, Schweizerischer Gewerkschaftsbund SGB, Schweizerischer Gewerbeverband SGV und Schweizerischer Arbeitgeberverband SAV) eingeflossen. Die Vorlage kann dadurch als breit abgestützte Kompromisslösung präsentiert werden.

Analog zu den gescheiterten Reformversuchen im 2010 und 2017 beinhaltet auch die neue Vorlage ein Element, welches in Fachkreisen stark kritisiert wird. Mit dem geplanten Rentenzuschlag ist ein Päckli geschnürt worden. Hat dieses Päckli das Potential, der Vorlage zum Durchbruch zu verhelfen oder bringt sie die Vorlage eher in Gefahr, wiederum abgelehnt zu werden?

Was sind die Hauptziele der BVG-Reform 21?

Die Lebenserwartung steigt seit vielen Jahren. Aufgrund der gestiegenen Bezugsdauer von Rentenleistungen und tieferen Anlageerträgen ist das aktuelle Leistungsniveau ohne Reform langfristig nicht finanzierbar. Die Vorlage soll daher mit verschiedenen Massnahmen die Finanzierung der beruflichen Vorsorge sichern. Dabei soll das Leistungsniveau erhalten und für Personen mit tieferen Einkommen und Teilzeitbeschäftigte verbessert werden.

Welche Massnahmen sind geplant?

  • Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6.8 % auf 6 %
  • Der Koordinationsabzug soll halbiert werden und neu 7/16 der maximalen AHV-Altersrente betragen (CHF 12’548 statt CHF 25‘095)
  • Die Altersgutschriften sollen neu 9 % bis Alter 45 und danach 14 % bis zur Pensionierung betragen.
  • Ein unbefristeter Rentenzuschlag soll als Ausgleichsmassnahme gesprochen werden.

Die vorgeschlagenen Massnahmen habe ich im Artikel «Die BVG-Reform braucht eine Reform» beurteilt. Der Vorentwurf der Reform hatte den Kompromissvorschlag der Sozialpartner übernommen. Am 25. November 2020 hat der Bundesrat die Botschaft zur Reform der beruflichen Vorsorge (BVG 21) verabschiedet und ans Parlament überweisen. Inzwischen haben verschiedene Gruppierungen eigene Reformvorschläge und Kommentare publiziert.

Was fehlt im Reformvorschlag?

Das Vorsorgesystem sollte vereinfacht werden. Diese Rückmeldung erhalten wir von unzähligen Kunden. Kaum jemand hat noch den Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten und Grenzwerte der verschiedenen Säulen des Schweizer Vorsorgesystems. Die Reform sollte für eine Vereinfachung der 2. Säule genutzt werden, um so nicht zuletzt das Verständnis für und das Vertrauen in das Vorsorgesystem zu stärken. Eine Vereinfachung führt zu weniger Bürokratie und Kosten für Arbeitgeber und die Verwaltung der Pensionskassengelder.

In der bestehenden Vorlage würden wir zudem gerne folgende weitere Elemente sehen:

Senkung Eintrittsschwelle (und damit gänzlicher Wegfall Koordinationsabzug)

Eine Eintrittsschwelle bei aktuell CHF 21‘510 wird neuen Arbeitsmodellen nicht gerecht. Personen mit verschiedenen Anstellungen, mehreren Teilzeitpensen und Projektmitarbeiter (Freelancer) werden sich kaum in der 2. Säule versichern können. Die Möglichkeit, sich der Auffangeinrichtung anzuschliessen ist umständlich und nicht praxistauglich. Die Eintrittsschwelle könnte von der AHV-Abrechnungspflicht übernommen werden (ab CHF 2‘300) und mit dieser einhergehen. Dies würde die Abrechnung für alle wesentlich vereinfachen und Personen mit tiefen Einkommen besser schützen.

Als Konsequenz der tieferen Eintrittsschwelle müsste der Koordinationsabzug aufgehoben werden. Die in der Vorlage vorgesehene Halbierung des bestehenden Koordinationsabzugs ist ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch nur ein halbherziger. Vorausschauend gehört die Eintrittsschwelle gesenkt und der Koordinationsabzug abgeschafft. Obwohl dies zu Mehrkosten auf tiefen Löhnen führt, ist dieser Schritt mittelfristig unumgänglich.

Stärkung BVG-Obligatorium, mehr Selbstbestimmung im Überobligatorium

Ein Wegfall des Koordinationsabzugs würde das BVG-Obligatorium stärken. Mehr Freiheit und Flexibilität für den Bereich der überobligatorischen Vorsorge würden Anreize für zusätzliches Vorsorgesparen schaffen. Die Sanierungspflicht für Arbeitgeber sollte sich auf das BVG-Obligatorium beschränken, 1e-Vorsorgepläne mit freier Wahl der Anlagestrategie sollten ab dem Überobligatorium angeboten werden können. Dies würde vielen zusätzlichen Versicherten den Zugang zu einer Vorsorge mit mehr Selbstbestimmung ermöglichen.

Gezielte Kompensationsmassnahmen

Je nach Ausgestaltung der finalen Vorlage, sind Kompensationsmassnahmen gezielt zu definieren und auf Stufe Pensionskasse oder Arbeitgeber umzusetzen. Pensionskassen haben für die zu erwartenden Pensionierungsverluste Rückstellungen aufgebaut.

Einheitlicher Beitragssatz

Ein einheitlicher Beitragssatz ab Alter 18 würde viele Vorteile mit sich bringen (siehe dazu auch «Die BVG-Reform braucht eine Reform»). Auch die Nachteile auf dem Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer könnten dadurch eliminiert werden.

Freie Wahl der Vorsorgeeinrichtung für Selbständigerwerbende

Art. 44 BVG sieht vor, dass sich Selbständigerwerbende bei der Vorsorgeeinrichtung ihres Berufes oder ihrer Arbeitnehmer versichern lassen können. Gerade Selbständigerwerbenden sollte die Möglichkeit geboten werden, sich einer Vorsorgeeinrichtung nach Wahl anschliessen zu können. Um „à la Carte“-Lösungen Einhalt zu bieten, gilt es auf verbindliche Regeln bezüglich Besteuerung hinzuarbeiten (siehe nächster Abschnitt).

Steuerliche Gleichbehandlung

Freiwillige Einzahlungen in die 2. Säule können vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden und sind daher ein beliebtes Mittel, die Vorsorge zu stärken und gleichzeitig die Steuern zu optimieren. Die Höhe der möglichen Einzahlung hängt von der Anzahl möglichen Beitragsjahren, einer allfälligen Verzinsung der Einkaufstabelle, der Höhe der jährlichen Altersgutschriften und der Höhe des versicherten Lohnes ab.

Der Vorsorgeplan des Arbeitgebers ist entscheidend, wie viel in die Vorsorge einbezahlt werden kann. Ein Stellenwechsel kann dazu führen, dass das Einkaufspotenzial deutlich höher ausfällt oder auch gar nicht mehr vorhanden ist. Versicherte der 2. Säule sollten jedoch gleichbehandelt werden. Der Vorsorgeplan eines Arbeitgebers sollte nicht darüber entscheiden, wie viel noch in die Vorsorge einbezahlt werden kann.

Öffnung Anlagebandbreiten

Pensionskassen befinden sich in einem Spannungsfeld. Die Verbindlichkeiten bestimmen die Risikofähigkeit und beeinflussen damit die Anlageallokation. Neue Modelle könnten die Risikofähigkeit und das langfristige Renditepotenzial signifikant erhöhen. In einem separaten Artikel skizzieren wir eine progressive Idee eines neuen Modells, mit welchem langfristig Hebeleffekte genutzt werden könnten.

Fazit: Um vorwärts zu kommen, muss man bereit sein, alte Zöpfe abzuschneiden, sonst findet man nie aus der Sackgasse. Für die jüngeren Generationen bleibt zu hoffen, dass sich bald eine Vorsorge-Greta finden lässt, welche im übertragenen Sinn auch Nachhaltigkeit in die Vorsorge bringt.

Beat Bühlmann, Geschäftsführer finpension AG