Eigentlich wäre es ganz einfach

Kürzlich wollten meine Kinder* wissen, wo ich neuerdings arbeite. Danach wollten Sie wissen, was das ist, die berufliche Vorsorge. Ich erklärte ihnen die berufliche Vorsorge wie folgt: «Schaut, es ist ganz einfach: Wenn ich arbeite, kriege ich Geld. Von diesem Geld lege ich einen Teil auf die Seite.» Meine Kinder runzelten die Stirn. Ich fuhr fort: «Das mache ich fürs Alter. Vielleicht bin ich mal so alt, dass ich nicht mehr arbeiten kann. Dann bin ich froh, habe ich vorgesorgt. Ich nehme das Geld, das ich auf die Seite gelegt habe und kann davon leben.» Die Botschaft ist angekommen. Vorsorgen ist einfach. Man spart fürs Alter.

* Der Älteste unserer vier Kinder kommt nach den Sommerferien in die Schule.

Warum um Himmels Willen ist die berufliche Vorsorge nur so kompliziert geworden?

Leider ist es in der Realität nicht mehr so einfach. Der Grund: Die schweizerische berufliche Vorsorge leidet unter Konstruktionsmängeln. Man kann es vergleichen mit einem Haus, das auf einem schlechtem Fundament steht. Und obwohl wir alle wissen, dass es auf einem schlechten Fundament steht, basteln wir daran herum, bauen einen Balkon an, flicken die Risse in den Wänden und schauen, dass es nicht mehr durchs Dach regnet. Unternehmerisch gedacht, hätten wir das Haus längst abreissen müssen und ein neues gebaut, welches auf besserem Fundament steht.

Doch, das ist nicht so einfach. Ein Abriss muss man zuerst den Mietern schmackhaft machen. Sie verlassen das marode Haus nur ungern, weil sie da schon lange wohnen und die Mieten sonst überall gestiegen sind. Genauso ist es auch in der Vorsorge: Die Versicherten, die schon lange in ihre Pensionskasse eingezahlt haben, wollen keine neue Pensionskasse, weil sie Abstriche hinnehmen müssten. Da sich die Zeiten auch in der Vorsorge geändert haben (Stichwort: längere Lebenserwartung), kann niemand mehr so hohe Renten garantieren. Es bleibt nichts anderes, als das alte BVG-Haus mühsam zu sanieren.

Die Vorschläge der Sozialpartner bringen Umverteilung ans Licht

Travail.Suisse, der Schweizerische Gewerkschaftsbund, der Schweizerische Arbeitgeberverband und der Schweizerische Gewerbeverband haben im Auftrag des Bundesrates darüber beraten, wie man das BVG-Haus sanieren könnte. Am 2. Juli 2019 haben sie ihre Vorschläge der Öffentlichkeit präsentiert, die der Schweizerische Gewerbeverband nicht unterstützt. Der Mindestumwandlungssatz soll von 6.8 auf 6 Prozent sinken. Als Gegenleistung dazu wollen sie eine neue Abgabe auf den Löhnen einführen. Diese neue Abgabe soll direkt den frisch Pensionierten zu Gute kommen, zur Abfederung der tieferen Renten.

Nun stand ich vor dem Problem, das meinen Kindern zu erklären. Ich hätte es bildlich wie folgt machen können: «Neu kommt jeden Monat ein älterer Mann oder eine ältere Frau bei uns vorbei und holt einen Teil des Geldes, das ich fürs Alter auf die Seite legen wollte.» Mit Bestimmtheit hätten das meine Kinder nicht verstanden. Deshalb liess ich es dabei bewenden und bewahrte ihnen die Utopie einer funktionierenden beruflichen Vorsorge.

Zumindest ein Vorteil – wir sind ja angesichts der Reformunfähigkeit der zweiten Säule bescheiden geworden – hat der Vorschlag der Sozialpartner dennoch. Das unsägliche System der Umverteilung, das bisher gänzlich im Dunkeln grassierte, kommt nun ans Licht. Die, die arbeiten, müssen zahlen. Die Rentner profitieren. Es ist zu hoffen, dass dieser Schritt die Sensibilität der Jungen für die Machenschaften in der beruflichen Vorsorge erhöhen wird, zumal sie davon nichts erhalten werden, wenn sie dann mal selber in Pension gehen.

Beispiel Liechtenstein zeigt wie es geht

1982 wurde das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen und Invalidenvorsorge (BVG) 1982 in Kraft gesetzt. Der Bundesrat wurde beauftragt, dafür zu sorgen, dass die Mindestleistungen die Einnahmen nicht übersteigen. Ihm wurde unter anderem die Kompetenz delegiert, den Mindestumwandlungssatz festzulegen. Die Möglichkeit, bei Bedarf den Mindestumwandlungssatz zu senken, ist unverzichtbar, um sicherzustellen, dass das BVG-Haus nicht in Schieflage gerät.

Diese Kompetenz wurden dem Bundesrat mit der 1. BVG-Revision im Jahre 2004 entzogen. Seither bestimmt das Parlament nicht nur über das Rentenalter, sondern auch über den Mindestumwandlungssatz. Er hat es zwar in der Hand, die Renten der höheren Lebenserwartung anzupassen. Seine Beschlüsse unterliegen jedoch im Gegensatz zu den bundesrätlichen Verordnungen dem fakultativen Referendum. Seither ist die berufliche Vorsorge ein Spielball der Politik.

Dass es auch anders geht, zeigt das Fürstentum Liechtenstein. Dort wurde auf die Festsetzung eines gesetzlichen Mindestumwandlungssatzes gänzlich verzichtet. Als Grund wird in der Broschüre der Finanzmarktaufsicht Liechtensteins angegeben, dass die Berechnung der Altersrente nicht politisch motiviert sein soll. Die Notwendigkeit, die Leistungen den aktuellen wirtschaftlichen und demografischen Verhältnissen anpassen zu können, wurde erkannt. Für einmal wäre ich froh, würde ich im Fürstentum Liechtenstein wohnen. Ich müsste meinen Kindern keine Märchen über die berufliche Vorsorge erzählen. Es wäre die Wahrheit.

Wenn der Staat versagt, ist Eigeninitiative gefragt

Wenn man die Misere der beruflichen Vorsorge erkannt hat, gibt es nur eines: selbstbestimmt zu handeln und die Möglichkeiten, die man hat, auszuschöpfen. Sei es im Überobligatorium im Rahmen einer 1e-Lösung, bei der Anlage von Freizügigkeitsleistungen oder in der dritten Säule. Wer hier intelligent vorsorgt, auf die Kosten schaut und den richtigen Partner wählt, kann dank Eigeninitiative einen Mehrwert schaffen, der die staatliche Misswirtschaft erträglicher macht.

Philipp Zumbühl